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Die Dummen sind immer nur die anderen - Torheit 2/3 (Dummheit)

Dummheit und Torheit: Wie unsere Wahrnehmung und Lebensstil über unsere Sichtweise bzw. Beurteilung anderer und uns selbst entscheidet.

Teil 2/3 der Serie über Torheit

Dummheit und Torheit - Dumm sind immer nur die anderen

Inhalt:




Einleitung: Die Dummen sind immer nur die anderen

In Teil 1 beschrieb ich die "Theorien der Dummheit" von Bonhoeffer und Cipolla mit Anmerkungen von Werle. Hier nochmal seine 3 Kennzeichen:


  • Selbstüberschätzung durch fehlende Selbstreflexion/Selbstkenntnis

  • Empathielosigkeit und Unverständnis/Arglosigkeit über dessen Konsequenzen/Folgen

  • Ignoranz der Wirklichkeit, getreu dem Motto: «Tatsachen, die dem eigenen Vorurteil widersprechen, brauchen einfach nicht geglaubt zu werden (Zitat Bonhoeffer).


Besonders während der Pandemie war man ja scheinbar nur so von Dummen umgeben. Alle, die die Massnahmen in Frage stellten, waren neben Idioten und Asoziale, natürlich Dumme. Aber auch alle die sie befürworteten oder einfach stumm blieben, waren «dumme Schlafschafe». Denn auch wer nicht offen mit protestierte, hatte mitgemacht.


Ich möchte hier nicht weiter darauf eingehen, sondern versuchen einen Blick auf unsere Wahrnehmung zu werfen, mit dem was ich darüber weiss. Vielleicht bewegt das ja den einen oder anderen darüber nachzudenken.


Ein Sprichwort sagt, dass "wenn ich mit einem Finger auf den anderen zeige, mindestens 3 andere Finger auf mich selbst zeigen". Was ist da dran? Nun ganz generell möchte ich die Fragen in den Raum stellen:


  • Warum sind immer die anderen die Dummen und nie man selbst?

  • Und wenn ich scheinbar immer von Dummen umgeben bin, wozu brauche ich sie in meiner Wahrnehmung?

  • Was nützt mir der Dumme? Wer kann ich dann sein?

  • Was ist es denn, was das Dumme ausmacht?


Was für dumme Fragen?! Das wirst Du Dir wohl denken, wenn Du dich bei der ein oder anderen erwischt hast. Ich möchte Dich aber einladen ihnen nachzugehen. Nur dumme Leute glauben, von Dummheit verschont zu bleiben.



1. Selbstbild und Fremdbild

In der Individualpsychologischen Beratung arbeite ich viel mit dem Selbstbild und Fremdbild.


Selbstbild, ist die meist unbewusste Vorstellung, die wir vor uns selbst haben. Mit diesem Inneren Bild von uns selbst ist nicht unsere Identität gemeint. Unsere Identität ist etwas viel stabileres und die Antwort auf die Frage: Wer bin ich? Das Selbstbild fragt: Wie sehe ich mich?


Unsere Selbstwahrnehmung schwank viel mehr, wenn wir mal gute oder schlechte Stimmung haben. Mal glauben wir, wir sind die Mutigen und voller Kraft. Oder wir sind todmüde und sehen uns eher als Fähnchen im Wind. Es misst sich immer an dem Idealbild, dass wir von uns haben.


Das Idealbild fragt: Wer sollte ich sein? Es ist das Bild, von dem wir glauben es sein zu müssen, damit wir übervolle Sicherheit und Bedeutung hätten. Und ich glaube, damit ist es viel näher an dem, von dem wir denken, dass dieses Bild unsere Identität ausmacht. Glaube ich unbewusst ein Held sein zu müssen, fühle ich mich schlecht wenn ich jemandem gerade nicht helfen kann. Hingegen ermutigt es mich, wenn ich jemanden aus einer schwierigen Situation retten konnte. Und wenn ein anderer ein Retter ist, ist er immer heldenhaft. Soweit, so logisch.


In dieser persönlichen Logik steck sehr viel über unsere mentale Gesundheit drin. Wenn ich mir bewusst werde, dass ich auch Wert und Würde habe, wenn ich andere Mal nicht heldenhaft retten kann, muss ich auch andere nicht dafür anklagen, wenn sie mich gerade Mal nicht retten können. Sie sind auch nicht die Dummen, wenn sie sich nicht von mir retten lassen wollen! Ich darf ein Un-Held sein und andere auch.


Konntest Du mir folgen?


Wir können unsere Selbstbilder auf andere übertragen, wo sie zum sogenannten Fremdbild werden. Wie sehe ich die anderen? Und was denke ich, wie die anderen mich sehen?


Selbstbild und Fremdbild sind in unserer unbewussten Logik eng verknüpft. Man sagt auch, Meinungen über andere sind Selbstaussagen. Wenn ich ein Held sein muss, dann brauche ich immer ein entsprechendes Fremdbild, d. h. ich muss andere z. B. als Hilfesuchende, ja Stückweit als Opfer sehen, die sich nicht (mehr) selbst retten können, eben einen Helden benötigen. Dann sehen sie mich als Retter, so habe ich Bedeutung und Sicherheit in der Gemeinschaft, das ist mein Platz in der Gesellschaft. Mit Hilfesuchenden verstehe ich mich als Retter also besonders gut, denn da kann ich meinem Idealbild näher kommen.


Jemand der sich nun nicht von mir als Held retten lassen will, der ist für mich unlogisch, ja vielleicht sogar dumm. Aussagen über andere, sind Aussagen über mich, weil ich meine Vorstellungen, Befürchtungen und Erwartungen auf sie übertrage. Während unserer Prägungsjahren haben wir unsere Logik wie die Welt funktioniert gebildet, wir haben unsere Erfahrungen gemacht und Schlussfolgerungen daraus gezogen. So sehen wir uns selbst und andere immer aus einer vorverurteilten Lebensbrille.


Wenn wir Besonnen sein wollen, dürfen wir wissen, dass unser Bick auf alles immer ein Vorurteil ist. Es ist nicht zwingend falsch, aber halt etwas verfärbt und die Wahrheit könnte möglicherweise sein, dass der andere nicht der klar Dumme ist und ich somit der klar … (ergänze nach deiner Logik), sondern die Denkweise «meine Sicht sei die richtige», eher etwas dummes hat.



2. Würde und Selbstbild

Der Neurobiologe Gerald Hüther hat erkannt, dass alle Systeme der Natur, also wir, unser Körper und wohl auch unsere Seele, nach Kohärenz strebt. Alles soll ausgeglichen sein, weil das am wenigsten Energie verbraucht. Aufs Psychologische übertragen, sind wir hier im Bereich der Würde.


Unser tiefes Menschliche Bedürfnis ist sozusagen diese Balance zwischen Selbstbild und Idealbild. Scham signalisiert uns, wenn wir glauben, dass wir gerade so unwürdig sind, das wir nicht mehr dazugehören dürfen. Würde sagt aber, Du bist würdig zu sein, Dein Wert ist unabhängig von allem, du hast Sicherheit und Bedeutung in der Gemeinschaft, auch wenn du unvollkommen bist, denn Du bist Mensch und das ist genug. Das gilt selbst für Strafgefangene, wieso sollte es nicht auch für dich gelten?


Du siehst, wenn ein Idealbild sehr hoch ist, wie das eines Helden, dann ist es für die Seele ein permanenter Energieverbrauch, psychischer Stress, ständig an dieses Ideal heranzukommen, weil sie ja merkt, dass sie es nicht immer ist. Ein Ideal neigt dazu nicht realistisch zu sein, halt eben idealistisch. Es ist ein Wunschbild, meist kreiert aus einem Minderwert heraus.


So muss alles was ich tue Heldenhaft sein. Doch wann bin ich endlich genug? Wann habe ich es endlich geschafft für immer ein echter Held zu sein? Nicht nur das, auch mein Fremdbild wird durch dieses hohe Gefälle problematisch. Denn wenn ich immer Opfer um mich herum brauche, können sie selber keine eigene Heldenfähigkeiten erwerben. Sie müssen für mein Selbstbild handlungsunfähig bleiben, sonst geht es mir nicht gut. Ich darf sie immer nur so weit retten, dass sie mich auch wieder brauchen.


Wenn ich aber erkenne, dass ich kein Held oder Retter sein muss, dass der wahre Held Jesus Christus in meinem Leben ist, dass es sein Bereich ist zu retten und nicht meiner, dann darf ich gelassener werden. Ich muss nicht mehr retten um meines Selbstwertes, ja, meiner Würde willen, ich bin genug würdig, weil ich einfach Mensch bin. Vielleicht darf ich hin und wieder ein Alltagsheld sein, sogar auch nur für mich, aber mein Wert ist nicht davon abhängig. Andere dürfen auch Alltagshelden sein.


Ich bin demütig geworden und habe erkannt, dass meine Identität in Jesus ist. Dieses Idealbild ist weit weniger hoch gesteckt. In der Identität Jesu, kann ich Mensch sein, sogar einer der Fehler macht. Jesus hat am Kreuz für all meine vergangenen, aber auch zukünftigen Zielverfehlungen (Sünden) bereits bezahlt. Es ist mir vergeben. Er ist als vollkommener Mensch gestorben, damit ich nicht mehr vollkommen sein muss. Es war vielleicht sogar etwas dumm von mir zu glauben, dass ich mich selbst erlösen könnte durch Heldenhaftigkeit, aber das ist doch ok. Irren ist menschlich.



Dummheit und Torheit - verschiedene Perspektiven

3. Verschiedene Perspektiven

Immer dann, wenn alle sich wieder mal streiten und der Meinung sind, mit absoluter Sicherheit den Durchblick über eine Situation zu haben, weiss ich, dass die Wahrheit mindesten 3-dimensional ist; meine Sicht, die der anderen und Gottes Sicht. Und wenn wir Menschen nicht gewillt sind etwas aus einer höheren Perspektive zu betrachten, befinden wir uns sogar im 2-Dimensionalen Bereich. Das ist tatsächlich sehr beschränkt.


Stell Dir vor, vier taub-blinde Leute stehen um einen Elefanten. Einer bekommt den Rüssel und ein anderer die Ohren, der Dritte ein Bein und der Vierte den Bauch. Sie würden alle etwas anderes über den Elefanten behaupten. Umso eindrücklicher wenn da ein Gott ist, der den Elefanten sogar sehen und hören kann. Er besitzt mehr «Sinne», als wir Menschen. Darum können wir auch nicht immer verstehen, wie Gott entscheidet und erklärt was ein weiser Umgang mit dem «Elefanten» wäre. Den einen spricht es an, aber die drei anderen müssen vielleicht aus Vertrauen einfach blind und taub gehorchen.


Johari-Fenster

Ein gutes Bild zum Thema Perspektive, zeigt auch das Johari-Fenster. Die beiden amerikanischen Sozialpsychologen Joseph Luft und Harry Ingham sind seine Urheber. Mit Hilfe des Johari-Fensters kann der so genannte „blinde Fleck“ im Selbstbild eines Menschen dargestellt werden. Zudem zeigt es auch schön, wie hilfreich Selbstreflexion für uns ist.


Dummheit und Torheit - Johari-Fenster

Unsere Sicht ist immer begrenzt. Wir können nur das erkennen, was uns gezeigt und erzählt wird, was wir erleben und erfahren können und was wir andere von uns wissen lassen. Das ist der sogenannte Öffentliche Bereich oder meine «Öffentliche Person». Doch all das, ist nie die ganze absolute Wahrheit. Ich weiss von mir Dinge, die andere nicht wissen (mein Geheimnis) und andere wissen Dinge, die ich nur erfahren kann, wenn sie es mich wissen lassen. Da habe ich einen "Blinden Fleck".

Und dann gibt es noch die Dinge von denen ich nichts weiss und andere auch nichts wissen können, die aber trotzdem existieren. Das Unbekannte oder Unbewusste. Du kannst aber absolut sicher sein, dass Gott sie kennt.

Quelle Bild: Johari-Fenster Wikipedia


Manch Unbekanntes und auch blinde Flecke kann man in der Beratung und Seelsorge durch Selbstreflexion ins Bewusstsein holen. Meistens verändert das die bisherige Sicht langfristig, weil da plötzlich zur bisherigen Sicht weitere Faktoren dazu kommen. Das ist spannend und lehrt einem die Demut, dass Meinungen, Vorurteile und Sichtweisen immer einseitig, subjektiv, veränderbar und darum auch manipulierbar sind im Positiven und Negativen. «Nur sehen was man sehen will», ein absolut zutreffendes Sprichwort. Wir können leider von anderen in unserer Sichtweise gelenkt werden, aber auch wir selbst können unsere Sicht selber lenken und gegensteuern. Meine Sicht der Dinge dient letztlich immer meinem Lebensstil.



4. Dummheit und Torheit oder einfach Apperzeption

Ein ganz eindrückliches Phänomen an uns Menschen ist die Apperzeption. Sie gehört zu dem Aspekt, dass ich «nur sehe, was ich sehen will». Ich darf darum auch vieles nicht sehen, weil das ja dann mit grosser Wahrscheinlichkeit meine gewollte Sichtweise ändern würde und damit meinem Lebensstil widersprechen könnte. Apperzeption ist der Filter in meiner Lebensbrille, der alles rausfiltert, was nicht zu meiner Lebensüberzeugung passt.


Davon sind wir alle betroffen. Niemand kennt die richtige oder vollständige Anschauung der Wirklichkeit, denn jeder hat einen Lebensstil, der bestätigt werden will. Der Lebensstil bezieht sich mehr auf unsere Lebensziele und damit unser Verhalten. Apperzeption betrifft, passend zum Lebensstil, eher unsere Wahrnehmung und Ideen.


Je nach Lebensmut müssen wir die Welt um uns in bestimmter Weise sehen, dass unser Selbstwert gesichert bleibt. Auch dann wenn z. B. ein Lehrer meine Arbeit kritisiert oder ich einen Test zurück bekomme mit lauter rot angestrichenen Fehler. Jetzt bin ich vielleicht jemand, der mit der Lebenslüge lebt, stehts das Ziel verfolgen zu müssen, perfekt zu sein, denn nur dann, denke ich, hätte ich Wert. So muss der Lehrer ja ein dummer Lehrer sein (Fremdwahrnehmung), der zu hart korrigiert hat, mich persönlich nicht mag oder es mir vielleicht sogar nicht gönnt, der mein Potential nicht sieht, oder generell nichts kapiert hat. Auf jeden Fall muss er minderwertiger sein als ich, denn sonst wäre mein Selbstwert jetzt im Keller. Er ist der Unperfekte, nicht ich. Das ist die Abwehr. Wenn ich mich selbst schon unperfekt sehe, dann bestätigt der Lehrer ja bereits etwas was ich schon an mir akzeptiert habe. Das ist quasi kohärent und ich muss ihn nicht klein machen. Aber ich leide unter Perfektionismus und glaube unbewusst tatsächlich, ich könnte Perfektion erreichen. Deshalb akzeptiere ich keine Unperfektion v. a. an mir und aber auch an anderen.


Da ich in diesem Fall ja noch Perfekt-Sein als Idealbild habe, sehe ich nicht den Unterschied zwischen meiner Leistung und meiner Person. Ich differenziere nicht. Ich bin meine Leistung, wenn ich perfekt sein will. Das ist die Lüge, die nicht gesehen wird. Der Lehrer hat wahrscheinlich nur ganz sachlich meinen Test korrigiert, weil das sein Job ist. Er hat mich nicht als Person entwertet, bzw. aus meiner Sicht ent-perfektioniert. Diese Differenzierung darf ich nicht wahrnehmen (Apperzeption), denn sonst könnte ich nicht diese subjektive Perfektion erreichen, die ich glaube stets haben zu müssen. Ich darf auch ganz generell nicht sehen das Perfektion als Mensch etwas utopisches ist, dass es sogar krankmachend, etwas menschenunwürdiges ist, von sich und auch vom Lehrer so etwas zu verlangen. Nun, auch unsere Fehlinterpretation der Wahrnehmung prägt wesentlich unser Erleben der Wirklichkeit.


Manche Dinge können wir unseren Mitmenschen 1000 Mal sagen und sie werden es sich nicht merken, nicht verstehen oder nachvollziehen können, weil es ihr Apperzeptionsschema ausschaltet oder herausfiltert. Und da sind auch Dinge, die es einfach nicht in unser Denksystem hineinschaffen, die wir einfach nicht erkennen können, weil sie so sehr unserer persönlichen Logik widersprechen. Wir sind nicht zu blöd und die anderen sind auch nicht zu dumm, unsere Wahrnehmungsfähigkeit ist einfach begrenzt, je nach Lebensstil oder Lebenslügen, die wir verfolgen.


Nun, wie kann ich denn das ändern oder bin ich meiner Apperzeption und Lebensbrille einfach ausgeliefert? Nein, wenn wir an unserem Charakter arbeiten, uns in Selbstreflexion üben, kann sich unser Wahrnehmungsbereich erweitern und verändern, weil sich auch unser Lebensstil ändert.

Apperzeption ist nicht per se schlecht. Sie ist auch wie eine Linse, die einen Fokus setzt. Was wir in der Wirklichkeit sehen können, so wie wir es eben sehen, darin liegen auch unsere Möglichkeiten, Stärken und Individualität. Wer sich tatsächlich zutraut Perfektion erreichen zu können, lebt zwar unter enormen Druck und Stress, aber es gelingt ihm auch manche Dinge sehr, sehr gut zu machen, fast perfekt. Er sieht die subjektiv «perfekten» Möglichkeiten und trainiert die subjektiv «perfekten» Fähigkeiten dazu. Natürlich zu einem sehr hohen Preis, aber wie lange er ihn bezahlen will, ist alleine seine Entscheidung.


Spätestens jetzt sollte Dir hoffentlich klar werden, in was für unterschiedlichen Welten, ja Wirklichkeiten wir alle gleichzeitig leben, aber trotzdem miteinander klar kommen müssen. Alles was wir aussagen, alles was wir erkennen, hat so viel mit uns selbst zu tun.


Weiter geht's mit Teil 3!



Quellen: Johari-Fenster Wikipedia; Würde, Was uns stark macht - als Einzelne und als Gesellschaft, Gerald Hüther, 2. Auflage, Albrecht Knaus Verlag, München, 2018; ICL Seminare u. a. Grundbegriffe der Individualpsychologie, Rudolf Dreikurs, Klett-Cotta, Stuttgart, 14. Auflage, 2014




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